Ich wurde in Russland geboren, als das Land noch durchgehend religionsfrei war. Also noch in der Sowjetunion. Die ganzen Osterbräuche sind mir deswegen eher fremd. Ich genieße zwar die Feiertage, aber als sinnstiftend sehe ich sie nicht an. Umso befremdlicher sind mir die deutschen Karfreitagsregeln. An die Existenz eines Tanzverbots kann ich immer noch kaum glauben, genauso wie an die Qualität des Fernsehprogramms an dem Tag. Leben in Deutschland durch die Augen einer gebürtigen Russin.
Der deutsche Karfreitag ist ein stiller Feiertag, Tanz- und Musikverbote gibt es in allen Bundesländern, obwohl man die Regeln unterschiedlich streng auslegt und befolgt.
Als ich dieses Phänomen vor Jahren zum ersten Mal selber erlebte, war ich verblüfft – wie kann ein demokratischer Staat es überhaupt wagen, Menschen etwas so ungefährliches und positiv belegtes wie Feiern zu verbieten? Und dabei fügen sich die Menschen dieser Einmischung in ihre Freiheit ziemlich lautlos, vom gelegentlichen leisen Meckern mal abgesehen. Zum Beispiel darf man in NRW am Karfreitag nicht mal umziehen. Wird man erwischt, muss man mit einer Strafe von bis zu 1.000€ rechnen. Im Ernst?
Katholisch oder nicht, jeder muss doch feiern oder besinnlich sein können, wie es ihm/ihr lustig ist. Der Staat hat da meiner Meinung nach nichts zu melden und schon gar nichts stellvertretend für eine ausgewählte Religion zu verordnen.
Will man am Karfreitag auswärts essen gehen, muss man das vielerorts in Stille ohne Musik tun. Und bleibt man zu Hause und schaltet den Fernseher an, so wird man von den doofsten romantischen Schinken aus der Eigenproduktion von ARD und ZDF erschlagen. Beim Zuschauen fühlt man buchstäblich, wie das Gehirn von der tödlichen Überdosis Schnulzigkeit zerschmilzt.
Vermutlich denkt man in der Programmdirektion der öffentlich-rechtlichen, dass die älteren Menschen, die man als Zielgruppe für diesen Tag ausgemacht hat, schon durchgehend senil sind. Nicht mal ein Häufchen funktionierender Gehirnzellen traut man ihnen zu. Wer bewilligt für so etwas eigentlich Budgets aus öffentlichen (also von uns allen stammenden) Mitteln? Vielleicht muss man die Verantwortlichen zu einem 24-Stunden Marathon aus ihrem eigenen Programm zwingen. Mal schauen, wie lange sie durchhalten. Fazit: gut, dass es Netflix und Amazon Prime gibt.
Ich lebe sehr gerne in Deutschland, das Land ist nicht zufällig mein Zuhause. Karfreitag verstehe ich trotzdem nicht. Wie sieht ihr das?
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